VIALON, Am Stehpult, AFFÄREN, Der Spiegel 21/1965
Gold und Silber der Juden erfaßt
Sein Verstand ist allzeit bereit. Als junger Mann bestand er die zweite juristische Staatsprüfung mit “lobenswert”, der kluge Rat des Gereiften entzückte Konrad Adenauer. Alle, die ihn kennen, rühmen seinen scharfen Intellekt.
Nur einmal im Leben versank der wache Geist des Friedrich Karl Vialon, heute Staatssekretär in Bonn am Rhein, offenbar in ein Dämmerdasein: zwischen 1942 und 1944, als im Baltikum etliche hunderttausend Juden liquidiert wurden. Vialon, damals Leiter der Finanzabteilung beim Reichskommissar Ostland in Riga, merkte nichts davon.
“Der Tatbestand der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung”, so erklärte Vialon am 25. März 1963 vor dem Koblenzer Landgericht, “ist mir nicht bekannt gewesen. Ich habe erst nach dem Kriege – ich möchte sagen: wie jeder andere – davon erfahren.”
… Seine Behörde vermietete Getto-Bewohner an NS-Dienststellen und Privatfirmen. Bis 1944 kassierte sie “aus der Verwertung der Judenarbeit” fünfeinhalb Millionen Reichsmark.
Weitere viereinhalb Millionen für ihren Ostland-Etat ergatterte die Vialon-Dienststelle durch Beschlagnahme jüdischen Eigentums, das teils bei den Verwaltungsstellen abgeliefert, teils verkauft wurde. Gewissenhaft wies Vialon am 20. Oktober 1942 sämtliche Reichskommissare darauf hin, daß die Juden häufig Wertgegenstände (“Gold und Silber, kostbare Musikinstrumente”) versteckt hätten, empfahl “geeignete Maßnahmen, auch diese Gegenstände zu erfassen” und den Juden “schwerste Strafe” anzudrohen.
Und als er am 25. September 1942 anordnete, für arbeitsfähige Juden “aus dem angefallenen jüdischen Vermögen Wäsche, Kleidung, Schuhwerk und sonstige für den notdürftigen Lebensunterhalt erforderliche Gegenstände” zurückzuhalten und einzulagern, spezifizierte er: “Es ist dabei darauf zu achten, daß nur minderwertige Gegenstände für diesen Zweck ausgewählt und an die Juden ausgegeben werden.”
Vialons fiskalischer Spürsinn galt auch den toten Seelen. Seine Dienststelle handelte mit Grabsteinen jüdischer Friedhöfe. Preis pro Kubikmeter schwarzen Basalts: 300 Reichsmark.
… So schrieb die “Süddeutsche Zeitung” unlängst, es sei für die Bundesregierung “diskriminierend, daß sie einen Staatssekretär, gegen den ein derart schwerer Vorwurf erhoben wird und schon seit Jahr und Tag anhängig ist, nicht mindestens bis zur Klärung des Falles suspendiert”. Die “Frankfurter Rundschau” mahnte: “Es wird Zeit, daß Bundeskanzler Ludwig Erhard diesem Vialon-Spuk ein Ende macht.”
Der Kanzler scheint nicht geneigt, dem glänzenden Beamten den Abschied zu geben, der aus dem Finanzministerium 1958 ins Bundeskanzleramt einrückte und schließlich Staatssekretär für Entwicklungshilfe wurde. Und Entwicklungsminister Scheel beschirmt seinen besten Helfer, der mitunter nach Altvätersitte noch am Stehpult arbeitet. Scheel: “Das ist ein erwachsener Mann, ein Jurist mit vierzig Jahren Staatsdienst, ohne jeden Mangel und ohne jeden Tadel.”