Die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren, suddeutsche.de, 10.06.2013
Der Fall des Gustl Ferdinand Mollath spielt in den Dunkelkammern des Rechts. Er gilt als ein Exempel für richterliche Ignoranz und schludrige Voreingenommenheit von psychiatrischen Gutachtern. Der Fall beschädigt das Grundvertrauen in den Staat und ruft nach grundlegenden Reformen; denn er ist ein tragisches Beispiel für eine generelle Malaise.Auf dem Schild am Eingang zu den Dunkelkammern des Rechts steht ein Paragraf – der Paragraf 63 Strafgesetzbuch. In der juristischen Ausbildung führt dieser Paragraf nur ein Schattendasein; und in den Kommentarbüchern für die Praktiker wird er eher mit der linken Hand abgehandelt. Die Juristen halten diesen Paragrafen für psychiatrischen Kram, die Psychiater halten ihn für juristisches Zeug. Nach diesem Paragrafen 63 wurde Gustl Ferdinand Mollath verurteilt, dieser Paragraf hat ihn in die Psychiatrie gebracht, dieser Paragraf hält ihn dort fest. Nennen wir ihn den Mollath-Paragrafen, weil der Fall des Gustl Mollath die Schwächen dieses Paragrafen und dessen extreme Verbiegbarkeit offenbart.
Schon lange hat kein Gerichtsfall die Menschen so empört wie der des Gustl Mollath: Zu keinem anderen Gerichtsfall hat die Redaktion dieser Zeitung je so viele aufgebrachte Zuschriften erhalten: Fast jeden Tag neue Mails, neue Briefe, neue Klagen mit angeblichen weiteren Beispielen für ein Versagen der Justiz. Der Fall Mollath gilt vielen Kritikern als Exempel für richterliche Ignoranz und als Beispiel für schludrige Gleichgültigkeit von Gutachtern. Viele Schreiber präsentieren ihre eigenen Erfahrungen. Sie klagen, oft mit bewegenden, oft mit verworrenen Schilderungen, über das, was ihnen selbst, ihren Verwandten oder Bekannten widerfahren sei.
Man kann solche Schreiben als querulatorisch abtun – so wie Gustl Mollaths Strafanzeigen, die von Geldwäsche handelten, einst als querulatorisch abgetan wurden (bis sie sich dann als im Kern richtig herausstellten). Man sollte das nicht tun. Viele Menschen verstehen nicht, wie die Einweisung in die Psychiatrie funktioniert. Sie trauen den Gesetzen nicht, die die Einweisung regeln; und sie trauen den Gutachtern und den Richtern nicht, die diese Einweisung exekutieren. Die Einweisung erscheint ihnen als ein Damoklesschwert, das in angespannten Lebenssituationen über ihnen schwebt, das dann herunterfällt und ihr weiteres Leben zerstört. Das mag in vielen Fällen nicht stimmen; in nicht wenigen Fällen stimmt es. Der Fall Mollath ist so ein Fall.
Gustl Ferdinand Mollath wurde von der 7. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg unter Leitung des Vorsitzenden Richters Otto Brixner am 8. August 2006 nach einem unglaublich schlampigen Verfahren in einem unglaublich schlampigen Urteil unter Berufung auf den unglaublich dehnbaren Paragrafen 63 Strafgesetzbuch abgeurteilt und dann in die Psychiatrie verbracht. Dort sitzt er bis heute. Wenn man sein Urteil über den gesamten Strafprozess gegen Mollath vorsichtig formulieren will, dann lautet es so: Dieser Prozess verstieß von Anfang bis Ende gegen Fundamentalregeln des Strafrechts. Es wurden Beweisstücke nicht sichergestellt und nicht begutachtet, es wurde eine unechte Urkunde verlesen und zur Grundlage des Urteils gemacht; auf der Basis unzutreffender Anschuldigungen wurde Mollath ein “paranoides Wahnsystem” attestiert.
In höchst seltener Eintracht haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung daher die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten von Mollath beantragt. Das Landgericht Regensburg hat darüber unverständlicherweise noch immer nicht entschieden. Was muss eigentlich noch passieren, bis etwas passiert? Am morgigen Dienstag wird Gustl Mollath vom Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags angehört. Der Mann hat nach sieben Jahren zweieinhalb Stunden lang Gelegenheit, einem neutralen Gremium darzulegen, was ihm widerfahren ist.