Die Unabhängigkeit des Richters oder Die Freiheit des Richters, nach Recht und Gesetz zu entscheiden
Die beiden oben genannten Grundsätze hatten für mich während meiner Zeit als Richter keine praktische Bedeutung, einfach deshalb, weil ich sie bei meiner beruflichen Tätigkeit als selbstverständlich vorausgesetzt habe.
…Wo ich eher Beeinträchtigungsmöglichkeiten für die im Titel genannten Werte sehe?
Hier gibt es mehrere Ansatzpunkte:
Da ist zunächst mal die Schere im eigenen Kopf, sprich Sozialisation (Herkunft, Ausbildung) und – als deren Bestandteil – entsprechende Vorurteile. Dieser Einschränkung der inneren und sich beruflich mannigfach äußernden Unabhängigkeit unterliegt jeder Richter, gleichgültig, ob er es weiß, oder ob er es nicht weiß. Sich darüber ständig klar zu werden, gehört nach meiner Erfahrung zu den größten Herausforderungen, mit denen sich ein Richter konfrontiert sehen kann.
Die Fähigkeit zur Selbstkritik gehört nicht zu den beliebten Eigenschaften in unserem Lande, und wer gibt gerne zu, etwas falsch gemacht zu haben? Von einem Kollegen hörte ich: Ich gebe doch keine Fehler zu!
Der nächste Punkt: Die Gruppendynamik. Als Richter schwebt man nicht im luftleeren Raum. Man ist organisiert, was auf die überwiegende Mehrheit der Richter zutrifft. Da gibt es Zusammentreffen bei Vorträgen und bei Würstchen mit Bier, wobei die zuletzt genannten Treffen die Gefährlicheren sind. Da werden Fälle besprochen, Mehrheitsmeinungen gebildet und transportiert, da wird über Kollegen geschwätzt, Kritik und auch Häme kommen vor. Hier werden auch Beförderungschancen ausgekungelt, soweit dies möglich ist.
So etwas prägt, dem kann man sich nur schwer entziehen. Direkter Einfluss auf konkrete richterliche Handlungen? Kaum nachweisbar, möglicherweise fühlbar. Die Stimmung macht`s dann, die letztlich auf der Kippe stehende Entscheidungen so oder anders ausgehen lassen könnte.
Mit Zahl und Intensität der Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Gruppen und Vereinen und Parteien nehmen die Wahrscheinlichkeiten der Einschränkung richterlicher Unabhängigkeit zu, entsprechend den oben dargelegten Verhältnissen. Es müssen ja nicht mehr unbedingt Würstchen und Bier eine Rolle spielen, sondern – eher standesgemäß – Kaviar und Sekt.
Wenn der Richter nicht spätestens mit der Eingehung nennenswerter Beziehungen in solchen gesellschaftlichen Bereichen merkt, dass es nicht nur ein Recht auf Unabhängigkeit gibt, sondern mehr noch eine Pflicht zur Unabhängigkeit, sind Hopfen und Malz verloren.
An dieser Stelle sollten die Erklärungsversuche für die speziellen Vorgänge in Bayern ansetzen, die bisher so oft und kläglich vor dem Ergebnis der Fassungslosigkeit geendet sind.
Nicht unbeachtet sollte dabei eine bayerische Spezialität bleiben, die meines Erachtens im Verhältnis zu dem bisher Geschilderten den größten Einfluss auf das richterliche Verhalten hatte und hat: Das Rotationssystem des ständigen Austauschs von Richtern und Staatsanwälten untereinander, was das Entstehen eines speziellen richterlichen Selbstbewußtseins erfolgreich verhindern kann.
Hierbei wir der Corpsgeist erzeugt, der Unrechtliches als „richtbar“ erscheinen lässt.
Das vor allem ist der Grund, auf dem die Unabhängigkeit des Richters verkümmern muss: Wenn man damit rechnen kann, dass die vertrauten Kollegen einen nicht im Regen stehen lassen, wenn es darauf ankommt. Dann hat die Politik leichtes Spiel, weil die Justiz in vorauseilendem Gehorsam spürt, was gewünscht und angesagt ist.
Plumpe ausdrückliche Anordnungen sind da nicht notwendig.