Schmierentheater Justiz ohne Vorhang und Applaus, damit sich solche Justiz-Figuren ordentlich in Szene setzen können, 06.1976

Die Justiz und ihre Kritiker, Plädoyers für ein gerechteres Recht, Marxistische Studentenzeitung, Juni 1976

Die Justiz als Schmierentheater

Jemand, der die Justiz für ungerecht hält, weil sie dem Gestrauchelten nicht auf die Beine hilft, dem wird jedes Urteil zum Beleg dafür, daß die Rechtsanwender hier keine rechtlichen Zwecke verfolgen, sondern ein verwerfliches Anliegen. Die Tatsache, daß zur Rechtssprechung der Streit derjenigen gehört, die die verschiedenen rechtlichen Standpunkte gegeneinander geltend machen – Verteidiger. Richter und Staatsanwalt haben ihre rechtlich vorgeschriebenen Funktionen bei diesem Geschäft – wird von den Kommentatoren in die Betätigung zweifelhafter Charaktere verkehrt, die, statt Recht zu sprechen, sich nur produzieren. Der Prozeß wird zum Rollenspiel, Richter, Staatsanwalt und Verteidiger zu Akteuren im Rampenlicht, zu Schauspielern, die ihren Beruf als gut einstudierte Rolle präsentieren.

Nazis und andere finstere Gesellen

Die Verharmlosung der Justiz durch die Verwandlung von Leuten, die Gewalt als Beruf ausüben in solche, die eine Art Showgeschäft betreiben, wird vervollständigt durch die Entlarvung des Interesses derer, die bei Gericht das letzte Wort haben. Der Urteilsspruch verdankt sich der reaktionären Gesinnung der Richter:

„Zu Fehlbeurteilungen des Verhaltens der Unterschicht kommt es nicht zuletzt deshalb, weil die Richterschaft den »harten Kern« der oberen Mittelschicht bildet. Der Richter hat die Mittelschichtkultur und -moral stärker internalisiert als z. B. ein Kassenarzt oder Rechtsanwalt.“

Mit seinen soziologisierenden und psychologisierenden Beweisführungen erklärt er gerade nicht, warum es unter den Juristen Leute gibt, die mit einem Bewußtsein ausgestattet sind, das auch anderswo recht häufig anzutreffen ist und warum eifrige Parteigänger der Staatsgewalt bei Juristen besonders häufig anzutreffen sind. Er leugnet schlicht die Objektivität des Strafurteils als Recht, verwandelt er es doch in eine Ausgeburt der Willkür, die angeblich die Durchsetzung des Rechts gerade verhindert. So werden Klassenzugehörigkeit, NS-Vergangenheit etc. der Richter zum Beleg ihres Interesses, nicht Recht zu sprechen, sondern Recht in Unrecht zu verwandeln.

Einer Justiz, die „überwunden werden muß“, weil sie ,,Opfer“ nicht verhindert. sondern diese produziert, halten solche Rechtsapologeten der Rechtsanwendung ihr Ideal von Gerechtigkeit entgegen und verleihen der Justiz die höheren Weihen einer Institution, die der Welt Harmonie beschert. wenn nur die Menschen zwar nicht freien, aber guten Willens sind:

„Es muß nicht bis zum Ende aller Tage angeklagt und verurteilt werden. Über die Verstöße gegen unsere Vereinbarungen (!!). die wir Gesetze nennen, als hätten wir sie wie Moses vom Berge herabgebracht, kann auch solidarisch verhandelt. sie können auch leidenschaftslos ausgetragen werden …“

Der Gegensatz zwischen Recht und freier Person, so ist dies also das Werk der daran interessierten Juristen, und wenn die Gewaltmenschen durch volksfreundliche Richter ersetzt werden, ist das Strafurteil die friedliche Einigung zwischen freundlichen Bürgern. So wird das Recht als ungerechtfertigte Gewalt zu einer Vereinbarung, die nicht beschränken darf – zur Forderung nach der Erziehung rechtsbewußter Personen kommt hier die Forderung nach einem anständigen Prozeß.

Wer braucht die Justiz?

Man sieht, jede Auseinandersetzung mit der Justiz liegt im Gewaltcharakter des Rechts begründet, ob man ihn feiert, ihn als zu inhuman beklagt oder ihn zu seinen Gunsten ausnutzen will. Stets bemüht sich derjenige, der an der Justiz etwas auszusetzen hat, sein Interesse als Recht dem geltenden Gesetz entgegenzuhalten, also das eigene Anliegen im Recht gebührend berücksichtigt zu sehen. Auf diese Weise will jeder die Beschränkungen des Rechts loswerden und sei es im Ruf nach Gewalt, ohne nach deren rechtlicher Legitimation zu fragen und hängt dennoch am Recht. Die Justiz fällt ihre Urteile unbeirrt und widerlegt ihre Kritiker, die ihre Argumente als Standpunkte der Gerechtigkeit vortragen und so der rechtlichen Gewalt ihre Unterwerfung demonstrieren, durch ihre Praxis. Die Justiz als staatlich legitimierte Gewalt ist sich der Notwendigkeit einer Ordnung im allgemeinen Interesse sicher. Und im Namen des Volkes zwingt sie selbst ihre hartnäckigsten Kritiker in die Schranken des Gesetzes. Schließlich ist die Justiz nicht zuletzt dafür da zu verhindern, daß man dem Staat ungestraft an den Karren fährt.

„Strafe ist Repression“ sagt der Rechtsprofessor Maurach aus München kurz und bündig, und Repression muß sein, hätte er noch hinzufügen können und unterrichtet seine Studenten in deren Gebrauch. So geht ein ganzer Berufsstand mit dem achselzuckenden Verweis auf die Schlechtigkeit in der Welt dem Geschäft nach, diese mit Gewalt am Leben zu halten, wobei ein solcher Job ganz und gar nicht mehr zu bedauernde Voraussetzungen hat, wenn das Geschäft damit sich auszahlt.

aus: MSZ 11 – Juni 1976

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