Können Richter irren? – Strafprozess gegen einen Verteidiger bei „Aussage gegen Aussage“
Prozessbericht von Rechtsanwalt Dr. Tobias Rudolph Fachanwalt für Strafrecht.
…Würde die Strafrahmenschere tatsächlich so eklatant auseinandergehen, wie in dem Beispiel geschildert, so wären wohl nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks überschritten. Auch wer Verständnis für chronisch überlastete Gerichte zeigt und menschlich nachvollziehen kann, welche Wunden konfliktträchtige Verfahren in der Richterseele hinterlassen – es gibt auch für Richter Grenzen. Der Mainzer Strafrechtsprofessor Volker Erb hat diese Grenzen 1994 in einem Aufsatz mit dem Titel „Absprachen im Strafverfahren als Quelle unbeherrschbarer Risiken für den Rechtsstaat“ beschrieben. Er analysiert Konstellationen, bei denen Richter ihren „Rachemotiven“ freien Lauf lassen und gelangt zu dem Ergebnis, dass „rechtsstaatswidrige Exzesse“ im Einzelfall durchaus als Rechtsbeugung (§ 339 StGB), Nötigung (§ 240 StB), vielleicht sogar Aussageerpressung (§ 343 StGB), strafbar sein können.
…Die Staatsanwaltschaft Augsburg hatte durch die Einleitung des Verfahrens nicht nur versucht, einen offenbar unliebsamen Verteidiger zu disziplinieren. Es ging auch nicht nur darum, wie Rechtsanwalt Lucas als Angeklagter in seinem letzten Worten ausführte, ihn persönlich als unbequemen Verteidiger „zu vernichten“. Es ging in dem Prozess um die Grundpfeiler des rechtsstaatlichen Strafprozesses.
Jede Diktatur in der Geschichte kündigte sich durch eine langsam beginnende Aushöhlung der unbequemen Verteidigerrechte an, unter dem Deckmantel des Erhalts von Recht und Ordnung. Der Strafprozess ist ein Seismograph für den Zustand des Rechts. Jede Erschütterung der Freiheit kann hier in kleinen, zunächst nur für Spezialisten wahrnehmbaren, Vorbeben gemessen werden. Der Rechtsstaat ist ein zartes Pflänzchen, das nicht sorgsam genug gehegt und gepflegt werden kann. Liberty dies by inches – Freiheit stirbt scheibchenweise.