„Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung“, neue Straftatbestände auf EU-Ebene öffnen einer Gesinnungsjustiz Tür und Tor, 26.05.2012

Zu Hannes Hofbauers neuem Buch „Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung“(1), Geschrieben von Richard Albrecht , Samstag, 26. Mai 2012

Der Wiener Publizist Hannes Hofbauer hat ein neues Buch veröffentlicht. Es beruht auf seinem Zeitschriftenaufsatz in „Ossietzky“ 12/2009.[1] Inhaltlich geht es um Konsequenzen des Endes der weltpolitischen Bipolarität Anfang der 1990er Jahre des „kurzen“ Jahrhunderts: Seitdem realexistiert die Neue Eine Welt (NEW).

Mit dem sperrigen Titel Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung meint der Autor als zeitgeschichtlich arbeitender Investigativjournalist[2] vor allem neue „Straftatbestände auf EU-Ebene“. Diese „öffnen einer Gesinnungsjustiz Tür und Tor. Die Leugnung von einem gerichtlich als Völkermord deklarierten Ereignis ist bereits strafbar; die Leugnung kommunistischer Verbrechen könnte es demnächst werden.“
Die „Debatte um die Definition von Greueltaten“ wird festgemacht an „der armenischen Frage und ihrer Instrumentalisierbarkeit sowie dem bosnischen Gründungsmythos, der auf der These eines Völkermordes in Srebrenica beruht. Einblicke in die Auseinandersetzungen um den Holodomor in der Ukraine, die Massaker in Ruanda, Darfur, Palästina und Kambodscha zeigen, welch unterschiedliche Interessen sich hinter dem Vorwurf des Völkermordes verbergen können. Seit in der Europäischen Union Ende 2010 ein Rahmenbeschluss zur Kriminalisierung von Völkermordleugnung und Verharmlosung von Kriegsverbrechen in alle nationalen Gesetzeswerke Eingang gefunden hat, wird (abweichende) Meinung darüber zur Straftat. Ein einmal per Gerichtsbeschluss festgestellter Völkermord darf nicht mehr in Frage gestellt werden. Zweifel an juristisch verordneter historischer Wahrheit wird strafrechtlich verfolgt.“

Methodisch geht es um repressive Verkehrung als justizielle Wertung von öffentlich geäußerter „Meinung“ als zu bestrafende „Tat“. Mit Meinungs(äußerungs)freiheit wird auch jede demokratische Bürgergesellschaft zerstört: „Der Übergang vom Tatstrafrecht zum Gefahren abwehrenden Feindstrafrecht zielt auf das Kernverständnis der bürgerlichen Gesellschaft als einen Ort des freien Meinungsaustausches. Erinnerungsgesetze bedrohen historische Forschung und journalistische Recherche, aber auch politische Auseinandersetzung über Ereignisse, die für Staaten und Völker identitätsbildenden Charakter haben. Die Durchsetzung einer Gesinnungsjustiz tabuisiert eine für alle Beteiligte notwendige Debatte […] Das Gefährlichste an der neu aufkommenden Gesinnungsjustiz ist ihre Instrumentalisierbarkeit […] Die Meinungsführerschaft [bemächtigt sich] der Gerichte, um ihrer Position als einzig gültiger zum Durchbruch zu verhelfen.“

(2) Die erste (mir vorliegende) Buchbesprechung im Netz hob ab auf die justizielle Seite von Wertung, Anerkennung und Leugnung des crimen magnum Völkermord (oder Genozid)[3], erinnerte an den so wirklichen wie absurdistanischen Tatbestand[4], daß in der Türkischen Republik heuer die Kennzeichnung des dort als „tragische Ereignisse“ gewerteten „Völkermord[s] an den Armenier“ (Martin Sabrow) während des Ersten Weltkriegs als „Weltfest des Todes“ (Thomas Mann) ebenso bestraft wird wie seine Leugnung als staatlich geplanter und organisierter genozidaler „Armeniermord“ (oder Armenozid) in der Schweiz. Der Rezensent wertete Hofbauers Position als „guten Anstoß um offener im eigenen Denken zu werden.“[5]

In der zweiten Buchbesprechung („Süddeutsche Zeitung“ 27.12.2011) wurde die „besonders in Osteuropa“ zunehmende „Bereitschaft, in Geschichtsdebatten mit dem Mittel des Strafrechts einzugreifen“, betont, zutreffend bemerkt, daß in der „Armenierfrage“ Hofbauers „auf einige sehr ausgesuchte Quellen gestützte eigene Ansicht […] näher an Ankara als an Paris“ liegt und bemängelt, daß der Autor „leider keine strukturierte Argumentation, die über den kurzen, zornigen Appell für die Meinungsfreiheit hinausgeht, entfaltet“, so daß „Geschichtspolitik mit der Brechstange“ herauskäme.

(3) Meiner subjektiven wie (scheinbar) juristisch unerheblichen und politisch bedeutungslosen Meinung nach zeigt Hofbauers gesinnungs- und justizkritischer Ansatz Stärken und Schwächen. Um diese soll es hier gehen; wobei ich weniger als spezieller Genozid/Armenozidforscher[6] auch hier nicht nochmal die (Mega-) These der „Einzigartigkeit des Holocaust“ (unique uniqueness) diskutiere[7], vielmehr allgemein als reflexivhistorisch arbeitender Sozialwissenschaftler mit einem Arbeitsschwerpunkt Justizkritik[8] argumentiere (und auf die unverkennbaren Formaldefizite des höchstredundanten und mit 264-Seiten überlangen Buchtextes nicht weiter eingehe).

Hofbauers Grundaussage, daß „das Strafrecht die Funktion einer politischen Auseinandersetzung nicht übernehmen“ kann, stattdessen zur „Kriminalisierung von öffentlichen Äußerungen“ führt, ist überzeugend hergeleitet und materialreich belegt. Der kritisierten allgemeinen Verrechtlichung des Politischen bei paralleler Verhinderung öffentlich notwendiger Debatten korrespondieren unverkennbare Entdemokratisierungstendenzen. Diesen neo-autoritären Transformationsprozessen entsprechen auch bürgerrechtliche Erfahrungen der ganzdeutschen Nullerjahre im und mit einem „staatliche Gebilde zu Beginn des 21. Jahrhunderts als ein vor allem durch dauerhafte gesellschaftliche Leiteinrichtungen wie Staatsanwaltschaft und Berufsrichterei sowie weitere Behörden des Unterdrückungsapparats als „Polizeibüttel“ (Rosa Luxemburg) verkörpertes und erfahrbares wirksames Gewaltverhältnis.“[9]

Diese Erfahrung/en spezifiziert Hofbauer. Mehr noch: er erklärt sie aus der neuen vor allem globalmilitärisch bestimmten Supermachtrolle der USA. Dort wurden seit den 911-Twintower- und Pentagon-Bombardements 2001 nicht nur innerstaatliche Feindabwehrmaßnahmen verrechtlicht. Sondern auch vom global player USA weltweit durchzusetzen versucht. Gelingt das nicht – Hofbauers Beispiele sind „die völkerrechtswidrige NATO-Intervention“ in Serbien 1999 und die „Bombardierung Lybiens durch EU- und NATO-Staaten“ 2011[10] – wird auch jenseits des Völkerrechts unter vagestem Verweis auf „die Menschenrechte“ agiert …

Es ist die blanke Machtpolitik einer Weltmacht, die lange schon im vermeintlichen US-„Hinterhof“ angewandt wurde und die den Yankee-Imperialismus (imperialismo yanquio) dort bis heute besonders verhaßt macht. Diese abstrakt/e „Menschenrechte“ deklamierende und zugleich offen deziviliserende imperial(istisch)e Machtpolitik wurde nach dem Motto „Mörder dürfen ermordet werden“ auch von dem prominenten US-Genozidforscher Daniel J. Goldhagen („Der Spiegel“ 41/2009) öffentlich gerechtfertigt.[11]

(4) Die Stärke von Hofbauers argumentativem Ansatz ist, daß sowohl explizit die Illusion, soziale Kontrolle von oben vor allem durch Recht/Justiz wirksam durchsetzen zu können, kritisiert wird als auch implizit der sich daran anschließende (in Deutschland historisch und aktuell besonders ausgeprägte) Prozeß von Rechtsentwertung durch Überverrechtlichung.[12] Das ist aber auch zugleich die Kardinalschwäche des Autors: die bornierte, weil dem Rechtsfetisch aufsitzende, Sicht auf Recht und Justiz in der „bürgerlichen“ Gesellschaft. Hannes Hofbauer unterläßt zum einen, die allgemein-unterschiedlichen und, gelegentlich wie in seinem Untersuchungsbereich, speziell-antagonistischen gesellschaftlichen Handlungsfelder von erkenntnisinteressierter Wissenschaft und machbezogener Politik mit jeweils eigenen Handlungslogiken herauszuarbeiten; zum anderen bleibt Hofbauer selbst in der doppelten gesellschaftlichen Illusion des Rechts befangen und verkennt ihre Wirksamkeit, die auch alle Rechtsstaatsillusion ausmacht. Sie liegt im wechselseitigen Rückbezug auf den Anschein des Rechts[13] sowohl bei den Herrschenden, die glauben, durch Recht wirksam und dauerhaft soziale Kontrolle ausüben zu können, als auch bei den Beherrschten, die dem jeder Gesellschaft innewohnenden Anschein des Rechts immer noch folgen – grad so wie von Wolfgang Koeppen in einer zentralen Passage seines Romans Das Treibhaus (1953) als illusionslose Kennzeichnung von Illusionen dicht beschrieben[14]:

„Er sah die Menschen und er sah, daß sie sich an Illusionen festklammerten, an die sie schon lange nicht mehr glaubten.“

1] http://www.sopos.org/aufsaetze/4a361e3f46747/1.phtml als aktualisierte englischsprachige Version
http://www.strategic-culture.org/news/2011/05/17/laws-commemoration-eu-legal-prosecution-consciousness.html
2] http://de.wikipedia.org/wiki/Hannes_Hofbauer
3] http://www.hrweb.org/legal/genocide.html Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide: Resolution 260 (III) A of the United Nations General Assembly, adapted December 9th, 1948
4] als aktuelle Beispiele aus der zweiten Februarwoche 2012 http://diepresse.com/home/kultur/literatur/730760/print.do http://www.jungewelt.de/2012/02-11/049.php?print=1 http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4103 http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4053
5] http://diefreiheitsliebe.de/freiheit/verordnete-wahrheit-bestrafte-gesinnung
6] http://ricalb.files.wordpress.com/2012/02/auswahlbibliographie.pdf
7] http://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/Die_WahrheitsLuege.pdf
8] http://www.duckhome.de/tb/plugin/tag/Richard+Albrechts+JustizKritik
9] http://duckhome.de/tb/archives/9175-JUSTIZKRITIK.html
10] so zuletzt Hannes Hofbauer, Brüsseler Despotie. Hintergrund. Aggressiver Euro-Imperialismus: Ist das der alte Kolonialismus? junge Welt 10. April 2012: http://www.jungewelt.de/2012/04-10/001.php
11] http://www.spiegel.de/international/germany/0,1518,653938,00.html [englischsprachiges Interview]
12] http://duckhome.de/tb/archives/9032-STAATSPFLICHTEN-UND-BUERGERRECHTE.html
13] http://duckhome.de/tb/archives/9235-DER-ANSCHEIN-DES-RECHTS.html
14] Wolfgang Koeppen, Das Treibhaus. Frankfurt/Main: Suhrkamp [= st 78], 1976²: 111

Hannes Hofbauer
Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument.
Wien: Promedia, 2011, 264 p., 17,90 €; ISBN 978-3-85371-329-7

Dieser (hier in einer Anmerkung aktualisierte) Beitrag sollte in der Aprilausgabe von trend ONLINEZEITUNG. Hintergründe & Gegenstandpunkte, 17 (2012) 04.12, in der Rubrik Das politische Buch, erscheinen. Warum der Text dort nicht erschien hat der Autor bis heute nicht erfahren.

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