Wie die bayerische Justiz gewalttätige Polizisten schützt, Der Spiegel 20/2012 vom 14.05.2012
Im Februar, zu Beginn des Prozesses, hatte der Rosenheimer Amtsrichter Ralf Burkhard noch angekündigt, in der Beweisaufnahme werde die Aufklärung der vorgeworfenen Taten “nach den Regeln der Kunst” erfolgen. Einen Antrag der Verteidigung auf Einstellung des Verfahrens wies er zurück, da der Bürger schließlich einen “Gewährleistungsanspruch auf Strafverfolgung” habe. Vor allem, möchte man hinzufügen, wenn sich Polizeibeamte in den Verdacht bringen, gegenüber unbescholtenen Bürgern massiv übergriffig geworden zu sein.
Doch wenn es um prügelnde Polizisten geht, scheint in Bayern die Justiz bisweilen verkehrte Welt zu spielen. Angeklagt werden nämlich nicht die Beamten, die ihren Aufgaben mit offensichtlich fragwürdigen Methoden nachgehen, sondern die Bürger, wenn sie sich von der Staatsgewalt nicht alles gefallen lassen – wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte.
Der Fall, um den es geht, spielte sich am 15. November 2010 im oberbayerischen Pfaffenhofen ab. Zwei Beamte, der Polizeihauptmeister K. und der Polizeiobermeister T., sollten an jenem Tag einen Mann zur psychiatrischen Untersuchung vorführen. Sie fuhren zu der Adresse, einem Anwesen mit 14 Wohnungen, wo sie den Gesuchten vermuteten. Doch dessen Name stand auf keinem der Klingelschilder. Also läuteten sie an mehreren Wohnungstüren, um nach ihm zu fragen. Sie trugen nicht Uniform, sondern waren in Zivil.
Von einigen Mietern bekamen sie die Auskunft, sie sollten den Hausbesitzer fragen. Dessen Tochter kam aus ihrer Wohnung und erklärte den Beamten, der Mann sei ausgezogen und lebe wohl jetzt bei seinem Bruder. Sie wisse aber nicht, wo. Der Beamte K. erinnert sich als Zeuge, der Gesichtsausdruck und der Tonfall der jungen Frau hätten sich damals “schlagartig geändert”. Wie bitte? Er sagt: “Wir mussten annehmen, dass sie mehr weiß.” Warum bitte? Außerdem habe er den Eindruck gehabt, in der Wohnung der Frau halte sich noch eine weitere Person auf: “Das war verdächtig!” Wieso bitte? Er forderte Verstärkung an.
Der Beamte verlangt von der Frau ihren Ausweis, laut einer Nachbarin in nicht gerade höflichem Ton. Die junge Frau zweifelt, ob er wirklich Polizist sei, will erst einmal seinen Ausweis sehen. Im Flur ist es düster, sie kann, was er ihr vor die Nase hält, nicht entziffern. Der Beamte stellt einen Fuß in die Tür. Sie will sie schließen und drückt dagegen. Ihr Ehemann kommt zu Hilfe, auch ihre Eltern. “Ich zog die Frau raus und übergab sie den Kollegen”, sagt der Beamte. “Übergeben”, das bedeutet, an den Schultern gepackt, gegen die Wand gedrückt, zu Boden gebracht und mit den Knien fixiert zu werden. Es bedeutet auch schlagen und treten und fesseln: “Die Kollegen waren alle schwer beschäftigt.” Einer der Beamten klagte nach dem Einsatz über Muskelkater im rechten Arm, weil der so beansprucht worden sei, ein anderer verlangte Schmerzensgeld. Ihre Opfer aber, mit denen sie sich “beschäftigt” hatten, kamen mit Bauchtraumata, Schädelprellungen, Hautabschürfungen und Schockzuständen ins Krankenhaus.
Das alles ist schlimm genug. Es gäbe noch vieles zu erzählen, etwa, dass die Polizisten Fotos, die die Mutter am Tatort schoss, löschten und die Staatsanwaltschaft nichts dagegen einzuwenden hatte. Oder dass die Anklagevertreter sich nicht scheuten, die junge Frau als gestört hinzustellen, weil sie im Alter von zwölf Jahren mal in psychologischer Behandlung gewesen war. Oder wie sie versuchten, den Vater in den Ruch eines Gewalttäters zu bringen, weil er einst im Polizeidienst dem Boxsport nachging.
Doch das Übelste an der Geschichte ist, dass das Gericht das Verfahren am Freitag wegen geringfügigen Verschuldens nach einem Rechtsgespräch überraschend eingestellt hat. Von Aufklärung keine Rede mehr oder dass die Öffentlichkeit ein Recht hat zu erfahren, wie die Polizei mit dem Bürger bisweilen umgeht. Der Richter sprach von der “Kosten-Nutzen-Relation”, wäre der Prozess fortgeführt worden, und betonte, die Angeklagten hätten “kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung der Beamten”.
Das Entscheidende aber war wohl, dass am Freitag jener Polizist als Zeuge hätte aussagen sollen, gegen den sich die Angeklagten am heftigsten zur Wehr gesetzt hatten. Weitere Ermittlungen haben die Polizisten nun nicht mehr zu fürchten. Ende gut?
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Weil diese Entwicklung insgesamt “besorgniserregend und absolut inakzeptabel” sei, setzt Innenminister Joachim Herrmann auf umfangreiche Schutzmaßnahmen und harte Strafen. So sollen die Beamten bestmöglich mit Schutzausrüstung ausgestattet und in Aus- und Weiterbildungen auf Auseinandersetzungen vorbereitet werden.