Kurt Schrimm über “Schuld, die nicht vergeht”, NS-Verbrechen, Freispruch für Mordjuristen, Markus Lanz, 18.10.2017

Kurz Schrimm OStA aD., Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen

Kurt Schrimm: “…Die Schuld, die man auf sich geladen wird sicherlich nicht vergehen. Wenn ich einen Menschen umgebracht habe, dann bleibt das ob das bestraft wird oder nicht. …Es ist das Brot des Soldaten, die Befehle der Offiziere auszuführen.”

Markus Lanz: “Es gibt aber eine Geschichte, die ich auch ihrem Buch entnommen habe und die mir so in der Dimension nicht klar war. Das sind ja die sogenannten kleinen Schergen, nenne ich sie einfach mal – Die Handlanger des Todes.  Und dann gibt es ja die, die im Hintergrund die Drähte gezogen haben und die das von oben nach unten durchbefohlen haben und die Leute, die beispielsweise auf juristischer Seite die vielen vielen tausenden von Todesurteilen ganz willkürlich gefällt haben.
Und sie beschreiben den Jurist Johannes T. als einer ihrer grössten Niederlagen, warum?”

Kurt Schrimm: “Ich möchte mal auf den kleinen Befehlsempfänger zurückkommen. Der hat ausschliesslich auf Befehl gehandelt. …Er wurde verurteilt wegen dieser Morde. Ihm sagte man Du hättest das verbrecherische dieses Befehls erkennen müssen und deswegen den Befehl verweigern müssen. Du  hast es nicht getan also wirst Du verurteilt. …Aufgrund dieser Argumentation konnte man diese Menschen verurteilen. Aber bei den Juristen hat man ganz andere Massstäbe angelegt und das ist etwas was mich sehr nachdenklich stimmt und was mich zornig stimmt.
Der BGH hat in einer seiner frühen Entscheidungen festgelegt: Ein Jurist kann für ein Todesurteil nur dann verurteilt werden, wenn das Todesurteil gegen damalige Rechtvorschriften verstieß.
Da wurden Leute zum Tode verurteilt und zwar nicht aufgrund von Gesetzen, sondern aufgrund von Verordnungen, aufgrund von Führerbefehlen, die keinerlei Gesetzesgültigkeit hatten und wurden hingerichtet.
Und jetzt kommt der BGH und sagt, es hat ja damals geltendem Recht entsprochen und daher kannst du nicht verurteilt werden. Wenn man gleiche Massstäbe angelegt hätte, dann hätte man sagen müssen: Du musstest das verbrecherische dieses Gesetzes oder dieser Verordnungen erkennen müssen.
Was man vom kleinen Mann verlangte, das entschuldigt man beim Jurist. Und das ist einer der grössten Ungerechtigkeiten in der Nachkriegsgeschichte was die Verfolgung von nationalsozialistischen Verbrechen anbetrifft.
Es wurde kein einziger Richter oder Staatsanwalt wegen eines Todesurteils rechtskräftig belangt, keiner!”

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Man hat sie nicht nur nicht belangt, sondern viele haben sich hoch belohnt und belobigt und die Opfer wurden verspottet:

Orden für Justizminister Gaul, Nazi-Richter Gerhard Gaul verurteilte einen Kriegsdienstverweigerer so zum Tod: “Asoziale Elemente wie der Angeklagte müssen rücksichtslos ausgemerzt werden.” 1967 wird Jurist Gerhard Gaul schleswig-holsteinischer Justizminister (CDU). Er tritt vehement gegen die Verlängerung der Verjährung für NS-Verbrechen ein. 1972 erhält er das Große Bundesverdienstkreuz am Bande.

Österreichischer Ex-Justizminister Tschadek mit 28 Ehrenbürgerurkunden, Ehrenbürger von Kiel, Grossem goldenen Ehrenzeichen der Republik, vom Papst persönlich verliehenen Gregoriusoden der katholischen Kirche war ein „Blutrichter“ der NS-Justiz in Norddeutschland

Gestapo Mitarbeiter Oswald Gundelach von den Alliierten als Mörder zum Tode verurteilt, dann vom Freistaat Bayern Dank und Annerkennung für 40 Jahre Dienst auch für die Gestapo

Jurist Paul Schossier vom OLG-Hamm, NSDAP-Mitgliedsnummer 7.215.218, Bundesverdienstkreuz I. Klasse, mit Verstrickungen in die Greueltaten des Nationalsozialismus

Sogar Roland Freisler hätte man nach dem Krieg wieder in den Justizdienst übernommen, da man nichts finden konnte was man ihm an Rechtsbeugung hätte vorwerfen können. Vielleicht hätte man ihm später auch einen Orden verliehen.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45876585.html

Freispruch erster Klasse:
EIN HOCH AUF ROLAND FREISLER (Der in der bayerischen Justiz auch weiterhin Karriere gemacht hätte)
Es bleibt dabei: Die Kleinen werden gehängt. Doch für die Großen gibt es eine Neuerung: Man läßt sie nicht mehr einfach laufen. Nein, man geleitet sie neuerdings mit Musik zum Ausgang und verabschiedet sich unter Entschuldigungen und auf Kosten der Staatskasse von ihnen.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13512519.html

Geehrt hat man Richter Roland Freisler auch auf jeden Fall damit, dass sein 1941 formulierter Mordparagraf für eine Bestrafung nach völkischem Recht für die Feststellung eines biologischen Tätertypus bis heute gilt.

Mord-Paragraf: Völkisches Recht
Der Mord-Paragraf ist eine Erfindung der Nazis. Wie konnte er sich so lange halten? Plädoyer für eine überfällige Rechtsreform von
19. Nazimörder hatten es gut; auch beim Bundesgerichtshof. Einer bekam für jeden Mord weniger als drei Stunden Gefängnis. Auf RAF-Täter wurde da ganz anders eingedroschen. Fünf Karriererichter haben eine Qualifikation im Sinne glänzender Examina, blütenreiner Personalakten und heftiger Protektion; was ihr Sensorium für Gerechtigkeit anbelangt, sind sie allesamt miserable Richter. Eine angeblich demokratische und rechtsstaatliche Qualifikationsauslese filtert Richter heraus, die das Glasperlenspiel der Jurisprudenz perfekt beherrschen, denen aber das Gefühl für das rechte Maß und insbesondere für die Prinzipien des Rechts fehlt. Es wiederholt sich die historische Tatsache, daß die tatsächliche Qualifikation die Pervertierung des Rechts nicht verhindert, sondern offenbar fördert.
Das ist der Fluch der bösen Tat. Die Nachkriegsjustiz, vor allem der Bundesgerichtshof (BGH), hatte ja die “Kollegen” aus der Hitler-Zeit, die nach einer mittlerweile gebräuchlichen Metapher “den Dolch unter der Robe trugen”, ungeschoren davonkommen lassen. Mit dieser Kumpanei muß die Dritte Gewalt noch lange leben.
Jedes Todesurteil ist eines zuviel. Doch festzuhalten bleibt, daß der DDR-Oberinstanz “nur” einige vorzuhalten sind, während Freislers Volksgerichtshof eine Blutspur von 5243 Todesurteilen zog.
Dem Volksgerichtshof wurden vom BGH noch bis in die siebziger Jahre alle Richterprivilegien – Richter können für ihre Urteile nicht belangt werden – einer ordentlichen Spruchinstanz zugute gehalten. Keiner der 106 Berufsrichter, keiner der 179 Staatsanwälte der Mordinstanz ist wegen Rechtsbeugung verurteilt worden.
Dr. jur. Rolf Lamprecht

Selbstreinigung der Justiz?: In alter Rabentraulichkeit. Hoher Juristenkollege der Hitlerschen „Euthanasie“-Morde wurde reingewaschen, der Kritiker verurteilt, 26.10.1990 Der Fall Jung – ein Lehrbeispiel gescheiterter Vergangenheitsbewältigung
https://www.zeit.de/1990/44/in-alter-rabentraulichkeit

Bundespräsident Rau ehrt Veteranen der Waffen-SS mit Bundesverdienstkreuz, 13.11.2000

Friedrich Flick (* 10. Juli 1883 in Ernsdorf, heute zu Kreuztal; † 20. Juli 1972 in Konstanz) war ein deutscher Unternehmer. Zur Zeit des Zweiten Weltkrieges hielt sein Flick-Konzern umfangreiche Firmenbeteiligungen, besonders im Rüstungsbereich. Im Flick-Prozess wurde er als Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Haft verurteilt. In der Nachkriegszeit begann sein Wiederaufstieg, wobei er zu einem der reichsten Männer der Bundesrepublik Deutschland wurde.
…Nach 1933 konzentrierte er die Spenden, rund 100.000 Reichsmark im Jahr, auf die NSDAP. Nach Ablauf der vierjährigen Eintrittssperre trat er am 1. Mai 1937 der NSDAP unter der Mitgliedsnummer 5.918.393 bei.
…Bereits 1934 verfolgten das Preußische Innenministerium, Wilhelm Keppler und Heinrich Himmler das Ziel, das Waffenwerk Simson dem jüdischen Eigentümer zu nehmen, um es in „deutschblütige“ Hände zu überführen. Der Verhandlungsführer des Übernahmeinteressenten Flick, Otto Steinbrinck, war zu dieser Zeit nur an einer juristisch einwandfreien Überführung in das Eigentum Flicks interessiert, denn es gab damals keine gesetzliche Grundlage für Enteignungen. Deshalb wurde durch die Thüringer Gauleitung (unter Federführung von Gauleiter Fritz Sauckel) so lange politischer Druck auf den jüdischen Eigentümer Simson erzeugt, bis dieser einem Verkauf zustimmte. Die einer Enteignung gleichkommende Übernahme vollzog der Staat. Flick erreichte auf diesem Weg, dass er nicht als potentieller Käufer von Simson auftrat bzw. diesen zum Verkauf genötigt hatte.
…Im Verlauf des Krieges stieg der Anteil der Zwangsarbeiter stetig an. Innerhalb des Flick-Konzerns waren im Kriegsjahr etwa 1944 insgesamt zirka 130.000 Arbeitnehmer und davon waren etwa die Hälfte als Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge beschäftigt und wurden ausgebeutet. Nach Einbezug der Fluktuation unter den Zwangsarbeitern dürften 80.000 – 100.000 beschäftigt gewesen sein.
…Friedrich Flick war in den 1950er Jahren wieder einer der reichsten Männer Westdeutschlands geworden. Er wurde bald zum größten Aktionär bei Daimler-Benz und hatte Beteiligungen bei der Feldmühle, Dynamit Nobel, Buderus und Krauss-Maffei. 1955 besaß er wieder 100 Firmen mit einem Umsatz von rund 8 Milliarden DM. Sein persönliches Vermögen war wieder auf 88 Millionen DM angewachsen. Bis Ende der 1960er Jahre wurde Flick unumstritten der reichste Mann Deutschlands
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Flick

Mensch ärgere Dich nicht über die Wiedergutmachung seit 1945

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